Von Kopf bis Fuß …

DNN, 23. April 2012 von Michael Ernst

Comedy & Theater Club eröffnet „Bar zum Crocodil“ im Italienischen Dörfchen

Teresa Weißbach - Bar zum CrocodilWenn von den Goldenen Zwanziger Jahren die Rede ist, dann meist mit dem Zusatz der „sogenannten“. Und doch muss was dran gewesen sein an diesem Lebensgefühl, noch mal davongekommen zu sein und nun alle Chancen vor sich zu haben. Das unterhaltsame Liedgut dieses Jahrzehnts tönt noch heute davon.

Mit dem Wissen um die nur wenig später vom Zwölfjährigen Reich über die Welt gebrachten Schrecken wird freilich niemand die Uhr zurückdrehen wollen. Zumal sich all das Glitzergold der Zwanziger ohnehin nur als Pappmaché erwies. Dennoch laben wir uns noch heute an den Künsten der damals blühenden Kabarett- und Varieté-Branche. Es gibt da Lieder, die will man immer wieder hören.

Bei der Schauspielerin Teresa Weißbach ist das genauso. Die will man auch immer wieder sehen und hören. Ja, hören! Denn sie kann nicht nur spielen, sondern auch wunderbar singen. Dass es ein Fehler wäre, sie auf „Sonnenallee“ und „Gräfin Cosel“ zu reduzieren, ist ohnehin hinreichend bewiesen, schließlich agierte sie bei den Bayreuther Festspielen und war mehrere Jahre am Burgtheater Wien engagiert. Mit ihrem Auftritt beim Dresdner Comedy & Theater Club vorigen Freitag hat sie dennoch überrascht. Dabei ist ihr Programm „In der Bar zum Crocodil“, das sie gemeinsam mit dem Tänzer und Pianisten John R. Carlson präsentiert, schon gut zwei Jahre alt.

Die aus Zwickau stammende Aktrice hat dazu einen fiktiven Lebenslauf mit durchaus realen Ortsbezügen entwickelt. Ein junges Sternchen aus Chemnitz träumt vom großen Berlin – und schon nimmt sie ein starker Kerl im weißen Automobil mit auf die Reise. Doch der Wagen ist geliehen, der Kerl entpuppt sich als Gigolo und taucht bald ab Richtung Nil. Dort eröffnet er mit fremdem Geld die „Bar zum Crocodil“ und lockt Jahr um Jahr mit einer Postkarte die Liebste, ihm – mit dickem Portemonnaie, versteht sich – nach Ägypten zu folgen. Zehn Jahre aus diesem Leben blättert uns Teresa Weißbach vor, indem sie von der großen Liebe singt, von der Einsamkeit, vom Tingeltangel und von Zweifeln. Kunst oder Kinder? Berlin oder Bankrott?

Das heißt, geblättert wird nur von Mister Carlson, der aus den USA stammt, in Norddeutschland heimisch geworden ist und am weißen Flügel mit hinreißender Präsenz nicht nur die Noten wendet. Ein Kalendarium, auf dem, konkretem Zufall sei's geschuldet, der 20. April feststeht und nur die Jahreszahlen wechseln, führt uns bis 1930. Gänzlich unaufdringlich gelingt die Metapher vom bevorstehenden Horror – für das Mädchen aus Sachsen sind Jugend, Hoffnung und Träume vergangen, für Deutschland und Europa steht die braune Nacht bevor.

Das muss gar nicht explizit ausgesprochen werden, der musikalischen Zeitreise gelingt das auch so. Teresa Weißbach singt mit einer beeindruckenden vokalen Wandlungsfähigkeit, dass sie „Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ sei, gibt die „Fesche Lola“, strickt sogar ein wenig „Winterreise“ ein, steppt Charleston, lässt mit Elvis das Alleinsein anklingen, schickt ihren untreuen Liebhaber („Schöner Gigolo, armer Gigolo“) in die Wüste und ist sich doch sicher: „Die Liebe höret nimmer auf“. Allein „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“ kündet von der wieder aufkeimenden Idiotie der Militanz.

Mit mal forcierten, mal verschleppten Tempi erzeugt das Duo enorme Wirkung. Die schöne Blonde besticht in roter Netzstrumpfhose ebenso wie im schwarzen Smoking. Und obwohl sie immer mal wieder ans Dresdner Sommerspektakel von 2011 erinnert, wird doch mit jeder Nummer klar, wie unterfordert Teresa Weißbach als Wedels Zwinger-Cosel gewesen ist.

Der Comedy & Theater Club wäre gewiss gut beraten, die „Bar zum Crocodil“ regelmäßig vom Nil an die Elbe zu laden – wenn sich herumspricht, wie spannend hier Liebes- und Zeitgeschichten interpretiert werden, sollte das Italienische Dörfchen stets brechend gefüllt sein.