Ratgeberin mit Biss

Dresdner Neueste Nachrichten, 10.12.2007
von Gabriele Gorgas

Ratgeberin mit Biss
Ursula von Rätin entpuppt sich (...) als Leseratte

Dass Ursula von Rätin eventuell eine romantisch-sentimentale Dame sein könnte, war nach mehreren Begegnungen mit ihr nur noch eingeschränkt zu erwarten. Schließlich muss sich die freischaffende, dramatisch-lustvolle Künstlerin mit einem männlichen Theatervorleben rigoros durchsetzen, kann sich eine Romantikader kaum leisten. Kann vielleicht schon, will aber nicht unbedingt. Und so war die Ankündigung des Programms „ Rattenscharfe Weihnacht" (...) durchaus wörtlich zu verstehen.

Immerhin hat sie aber- mit ihrer Schnuppernase aus dem Vorhang lugend und verkleidet als Elchratte - das Publikum so ein klitzekleinwenig auch vorweihnachtlich verwöhnt, würzte die Aufführung erheiternd mit einer Prise schneerieselnder Besinnlichkeit. Und knabberte mit ihren butterweichen Zähnen alles an, was ihr grad so in die Quere kam. Zum Beispiel verzichtbare Geschenke, darunter ein geschmackloses, wenig kuscheliges Mr. Bean-Geschöpf und derlei mehr. Solches wanderte dann in ihren speziellen Entsorgungskorb; man darf getrost daran glauben, dass sich dafür immer wieder Neues findet.

Ursula von Rätin liebt das gewitzte Plaudern über dies und das, diesen und jeden, vergisst auch niemals die temperamentvollen Demonstrationen ihrer dramatischen Fähigkeiten oder der Unmöglichkeit, sich Rotwein in den Rachen zu gießen. Assistiert von ihrer ständigen Begleiterin Cornelia Fritzsche - diese leiht ihr für den Auftritt Hand, Stimme, Charakter und Sonstiges - erzählt sie (...) auch eine Geschichte aus ihrer Kindheit. Wie sie einst im Backfisch-Alter nichts fand unterm Weihnachtsbaum, doch die Überraschung war, dass sie ein eigenes Zimmer bekam, mit „Robinson Crusoe" auf dem Nachttisch. Und grade beim Entdecken der Fußspuren von Freitag wurde Nachtruhe angesagt, und die Mutter hat das Buch eingezogen. Erst drei Jahre später.....

Aber nein, alles sollte man Ursula nun auch nicht glauben. Sie liebt die Übertreibung und hat viel Fantasie. Eine Leseratte ist sie ganz offenbar geblieben, und ihren aktuellen Buchempfehlungen- vom Schnäuzchen in die Hand und auf den ehrenwerten Stapel- haben es in sich. Vor allem, wenn sie hiesigen Politikern anrät, David Blackburns Buch „ Die Eroberung der Natur - eine Geschichte der deutschen Landschaft" zu studieren oder diversen Leuten im Kaufrausch die Lektüre Erich Fromms „Haben oder Sein" anempfiehlt. Dass sie sich auch immer mal mit dem wunderbar sensibel mitspielenden Pianisten Robert Jentzsch anlegt, liegt in der Natur der Sache, aber sie versöhnt sich auch wieder, und Ursula trällert zur Entschuldigung ein Robert-Lied.

Überhaupt ist sie eine begnadete Sängerin, und man fragt sich, wo sie denn aus ihrem Plüschleib mit dürren Gliedern und markantem Nagerkopf diese Stimme herholt. So ein wenig fixiert ist man schon auf die Frontfrau. Die aber nur in Maßen undankbar ist; ab und an verweist sie auf „die da hinten" . Und die macht was draus - darauf kann man sich verlassen. Wunderbar beispielsweise die Geschichte verdrängter Selbstwahrnehmung, wenn Ursula erstaunt beschreibt, wie sich eine Hand - ja von wem nur? - im Juwelierladen auf einen kostbaren Ring zu bewegt. Übrigens benennt sie auch ihren Weihnachtswunsch: Frau von Rätin wünscht sich einen neuen Büstenhalter- der alte sei schon ziemlich verschlissen. Wie überhaupt einiges an ihr aus dem Leim, aus der Naht geht. So ganz jung ist sie halt nicht mehr in ihrem zweiten Leben, und das lässt sich auch nicht hinter einem roten Fest- „Schal" verstecken. In . ihrem ersten Leben als männliche Theaterratte hatte man sie vor einigen Jahren an den Nagel gehängt, sie im Fundus fast vergessen. Nun spricht sie mit uns in holder Weiblichkeit: eigensinnig, launig, liebenswert. Lang lebe Ursula von Rätin!