Hinreißendes Erzählen, scharfe Pointen und allerlei Doppelbödiges

Magdeburger Zeitung, Kultur/Roman, Montag, 20.07.2009

Beim „Rendevous mit der Liebe" im Puppentheater erklärt Ursula von Rätin die Welt

Seit vielen Jahren schon ist die transsexuelle Ratte Ursula von Rätin Lebensberaterin in vielerlei Lagen. Jetzt begann die Dresdnerin ihr Gastspiel im Hof des Magdeburger Puppentheaters und erklärte mit Lebensweisheiten, Gefühlsseligkeiten und vielen Liedern die Liebe und die Welt.

Von Liane Bornholdt

Magdeburg. Ursula von Rätin ist eine Ratte, und sie ist eine Handpuppe aus Schaumstoff, die viele Monde lang im Fundus des Dresdner Puppentheaters überdauert, gegen Motten und Langeweile gekämpft hatte, nachdem sie einst dem russischen Rattenmann Woldoja gegeben hatte.

Als Cornelia Fritzsche sich der Figur erinnerte, stellte sich zunächst die Frage, wer von beiden das Geschlecht wandeln müsse. Das Problem war leicht gelöst, denn „mit toter Materie kann man es ja machen". Dies alles berichtet die transsexuelle Rattendame freimütig und mit großem Selbstbewusstsein, kaum war sie ihrer Reiseunterkunft, einem Leinensack, entstiegen.

Aber dass sie „tote Materie" sein soll, muss ins Reich der Legenden verwiesen werden. Diese Figur entfaltet sofort und unüberseh- und hörbar ihr Eigenleben. Wenn sie von Cornelia Fritzsche spricht, verweist sie nur mit überlegener oder abfälliger Hand- und Kopfbewegung auf „Die da", hinter ihr auf dem Hocker sitzend. Aber „Die da" kommt eigentlich gar nicht vor. Ursula von Rätin hat nach der Geschlechtsumwandlung die einmalig günstige Gelegenheit, sich einen ganz neuen Lebenslauf zu erfinden und macht ausführlichen Gebrauch davon. An ihr Liebesleben als Mann erinnert sie sich deutlich, aber jetzt gibt sie als Frau alles zurück.

Dass sie aus der sächsischen Landeshauptstadt kommt, mag sie gar nicht mehr so gerne verraten, denn Dresden sei nun ja nicht die Stadt mit der Frauenkirche oder dem Grünen Gewölbe, sondern nur noch die Stadt „mit der Brücke". Eigentlich wollte sie nach „Rattebeul" umziehen, aber das löst das Brückenproblem auch nicht, und man bleibt Dresden seinen schönen Anlässen zum Lästern doch treu. Und es gibt ja auch von den Rattenwohnstätten in der berühmten Schatzkammer und er großartigen Kirche vieles zu berichten, von Bällen und Besuchermassen, einem Umzug in den Landtag mit seinen hochwichtigen Personen sowie immer wieder von rättischer Liebschaften. Dass diese sehr menschlich geraten, verwundert überhaupt nicht, denn Ursula ist schließlich eine Ratte wie du und ich. Das beweisen zum Beispiel die „Szenen der Ehe auf sächsisch" oder die Ausflüge in allerlei melancholische und freche Chansons von Marlene Dietrich und Zarah Leander, von Gitte und Milva. Auch Rättinnen klagen „Du siehst immer nur mein Sonntagsgesicht" und wissen „So schön kann doch kein Mann sein", sie haben solche Erlebnisse wie „Er war gerade 18 Jahr" und wird nicht „weinen, wenn man auseinander geht".

Ein ganz großes Vergnügen

Dem Pianisten Robert Jentzsch, der die Rattengesänge gefühl- und taktvoll begleitet und auch einige Chansons extra für Ursula komponiert hat, zollt die extravagante Heldin dieses Abends einigen Respekt, und er darf schon mal Sonderbeifall bekommen, den der Musiker natürlich auch verdient hat.

Cornelia Fritzsche, die Schauspielerin und Sängerin und die Autorin, die Leben und Lebenssituationen der Ursula von Rätin ersann und erzeugt, ist eine Puppenspielerin der Extraklasse. Sie beherrscht die Kunst, ihrer Figur ein eigenes, scheinbar völlig unabhängiges Leben zu geben, perfekt. So sah man es selten, dass die Spielerin und ihre Kreatur auf der Bühne miteinander agieren, wie zwei Personen, wobei man völlig vergisst, dass alles ein großer Monolog ist. Dazu versteht sie auch die Kunst des Erzählens hinreißend. Sie kann kabarettistisch kalauern und versteckt scharfe Pointen und allerlei Doppelbödiges im Plauderton, kann auch altbekannte Witze außerordentlich vergnüglich und pointiert erzählen und singen kann sie auch, eindringlich gefühlvoll. Dabei ist die Figur der Rätin schone einige Jahre alt, trat schon in vielen verschiedenen Programmen in Erscheinung, aber dennoch ist der Abend mit Cornelia Fritzsche, Robert Jentzsch und, vor allem, mit Ursula von Rätin taufrisch, tagesaktuell und ist ein ganz großes Vergnügen.